Geschichte der Mühlhäuser Stadtkirmes

Von der Kirchweihe zur Stadtkirmes

Mühlhausen - eine über 1000 Jahre alte und geschichtsträchtige Stadt, gelegen im Thüringer Becken an der Deutschen Fachwerkstraße. Eine weitestgehend gut erhaltene Stadtmauer, viele sehenswerte Bürgerhäuser und Kirchen locken Besucher aus nah und fern.

Auffallend war und ist die Vielzahl an Sakralbauten, in denen z.T. noch Gottesdienste und Messen verschiedener Konfessionen abgehalten werden. Leider fielen ein Teil der Kirchen dem Abriss zum Opfer. Die Gründe sind mannigfaltig und reichen von verheerenden Stadtbränden bis zu Veränderungen der Infrastruktur im Zuge der Industrialisierung der Stadt. Weitere Kirchen dienen heute als Museen, Bibliothek oder Konzert- und Theatersaal.

Im Mittelalter wurden bereits in jedem Kirchspiel an unterschiedlichen Terminen Kirchweihfeste begangen. Sie fielen meist auf die Tage der Schutzheiligen. Aufzeichnungen darüber reichen bis in das 14. Jahrhundert ( Dominikaner-Klosterkirche Peter u. Paul ) zurück. Man konnte vom Weißen Sonntag ( 1.Woche nach Ostern ) bis zum Martinstag Kirchweihfeste aufsuchen. Anders gesagt, war die Zeit von April bis November Festsaison in unserer Stadt.

Umgangssprachlich formte sich aus der Kirchmess die Kirmes - von den Mühlhäusern auch als "Kirmse" bezeichnet.

Mit dem Kirmesleben sind in allen Zeiten Bräuche verbunden, die entstanden, wieder verschwanden oder noch heute als traditionsreiche Rituale das Fest bereichern. In frühen Zeiten waren grüne Sträuße, sogenannte "Mayen" oder "Kirmsbüsche" ein markantes Zeichen. Sie wurden aus den Turmfenstern gehangen und dienten der Ausschmückung des Gotteshauses. Die Verehrung von Tannenbäumen ( Fichten) und Fertigung von Eierketten werden von einigen Historikern auf germanische Rituale zurückgeführt. Gestützt wird die These durch den Fakt, dass ein allzu lustvolles Treiben dem asketischen Kirchenleben früherer Zeiten eigentlich widersprach. Als sicher gilt die Tatsache, dass die Mühlhäuser in allen Zeiten gern und ausgiebig feierten, bot sich doch mit allerhand feil gebotenem Tand auf den Märkten, gesäumt von Minnesängern und Gauklern, Abwechslung im Leben der Menschen. Freizeit, wie wir sie kennen, gab es damals nicht. Aus der Epoche des Bauernkrieges ist eine Begebenheit verbrieft, in der ein armer Sünder zur Verantwortung gezogen werden sollte, da er die Kirchweih dem Ruf des Militärs vorzog. Bis in das Jahr 1804 wurden die Kirchweihfeste an 3 Tagen gefeiert. Danach nur noch am Sonntag und dem darauf folgenden Montag.

Mit der beginnenden Industrialisierung standen die Feiern in zunehmender Kritik der Obrigkeit. Die lange Zeitspanne und die Intensität der Feste war zum Leidwesen der aufblühenden Wirtschaft mit einem chronischen Ausfall an Arbeitskräften verbunden. Preußens Glanz und Gloria setzte dem Schauspiel ein Ende und forderte 1875, dass die Kirchweihfeste nur noch an einem Tag stattfinden sollten. Aus diesem Grund ordnete der Magistrat im Jahre 1877 die Zusammenlegung der Kirchweihen an. Der zweite Sonntag im September eines jeden Jahres wurde dafür festgesetzt. Der Termin entsprach der damaligen Kirchmess von St. Petri. Die erste Stadtkirmes vom 09. - 11. September 1877 war geboren. Seit dem Jahr 1883 gibt es nach der Großen Kirmes am darauf folgenden Wochenende die Kleine Kirmes.

Mit den Jahren breitete sich das Fest auch außerhalb der bestehenden Kirchgemeinden aus und verlagerte sich in weitere Stadtviertel und Straßenzüge. Wochen vor der Kirmes erklangen allerorts Lieder, Kirmestänze wurden zelebriert. Kinder und Jugendliche waren mit der Fertigung von Kirmesketten aus Tapetenresten beschäftigt. Dafür wurde in den Bäckereien "Kehrmehl" erbettelt, das zur Anmischung des Klebstoffs diente. Am Samstag gingen die Männer in den Wald, um die Kirmesbäume zu schlagen und um sie dann an den Ort des Geschehens zu schaffen. Es folgte die Ausschmückung von Baum und Straße. Die Frauen sorgten indes für das leibliche Wohl. An den langen Kaffeetafeln in den verschiedenen Straßenzügen wurde nasser und trockener Kuchen gereicht. Der Zwetschenkuchen ist dabei der kimestypische Klassiker, der sich bis in die Neuzeit erhalten hat. Jede Gemeinde besitzt einen Kirmesbürgermeister und einen Gemeinderat, welcher heutzutage als Vorstand bezeichnet wird. Im Anschluss folgen die Kirmeskreise und Kirmeslieder der Kinder. Am Abend gehörte die Straße den Erwachsenen, die wiederum mit Liedern und Tänzen der Kirmes frönten. Auch in Tanzlokalen und Gasthäusern fanden die Feiern vom Nachmittag eine Fortsetzung. Nach wenigen Stunden Schlaf ertönte der Lärm der gemeindeeigenen Trommlerkorps in der Morgendämmerung. Der große Festumzug begann von jeher am Kirmessonntag um 11:00 Uhr. Trachtengruppen und geschmückte Festwagen, wie auch zahlreiche kostümierte Kinder ziehen ihre Bahn, begleitet von Trommler- und Spielmannszügen. Nachmittags schloss sich wiederum das Geschehen vom Vortag an. Auf die Kinder warteten damals wie noch heute kleine Geschenke beim Hahnenschlag. Tradition war und ist der Besuch der Schausteller am Blobach, die mit Fahrgeschäften und Schießbuden das Fest bereichern. Vor den abendlichen Feiern stand und steht der Lampionumzug als weiterer Höhepunkt. Dabei ziert ein Meer von Lichtern die Straßen unserer Stadt.

Den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts war die Kirmes suspekt. Versuche der Vereinnahmung blieben in beiden Fällen weitgehend erfolglos. Mit den Jahren verschwand die klassische Straßenkirmes zu Gunsten der Zeltkirmes. Einige Gemeinden errichteten Festbauten, die auch außerhalb der Saison zur Verfügung stehen. Veranstaltungen folgten nun auch zunehmend innerhalb der Woche. Viele Kirmesgemeinden stärkten den Zusammenhalt, indem Wanderungen, Ausflüge, Versammlungen und Feiern sonstiger Art die Zeit zwischen den Jahren verkürzten. Der Festumzug bekam zu Zeiten der DDR neben dem Schaucharakter auch eine kritische Komponente. Mängel im System wurden mehr oder weniger offen kritisiert. Defekte Dachrinnen, geschlossene Tankstellen oder Schlaglöcher in den Straßen waren beispielsweise Themen im Festumzug von 1987. Die Tageszeitung "DAS VOLK" schrieb in diesem Zusammenhang von "Anregungen zur Verschönerung der Stadt" oder "Ringen der Werktätigen um gute Produktionsergebnisse".

Nach der politischen Wende verschwanden einige Kirmeszelte, doch auch neue kamen dazu. Bis zum heutigen Tag bestehen noch 30 Kirmesgemeinden, die sich unserem Volksfest verpflichtet fühlen. Sie sind unter dem Dach des Traditionsvereins "Mühlhäuser Heimatfeste" organisiert, dem ein Kirmesoberbürgermeister vorsteht. Der verdienstvolle Heimatfreund und Ehrenbürger der Stadt Günter Würfel bekleidet diese Funktion seit nahezu 40 Jahren.

Die Gemeinden sind während der Festwoche durch eine Kirmesbahn vernetzt. Der Festumzug wird jährlich von bis zu 40000 Besuchern gesäumt, zu denen auch Abordnungen aus den Partnerstädten zählen. Als eine weitere zentrale Veranstaltung findet am Kirmessamstag die Musikschau der Spielleute statt. Im Rahmenprogramm befindet sich neben den neuesten Fahrgeschäften der Schausteller auf dem Blobach auch ein historischer Handwerkermarkt am Kristanplatz.

In seiner Form gilt unser Fest als die größte Stadtkirmes Deutschlands.